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Bernar Venet zählt zu den bekanntesten Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Aber der Franzose war auch Performance-Künstler. Wie vielfältig sein Werk ist, zeigt die neue Kunsthalle am Tempelhofer Flughafen.
Bernar Venet in seiner Ausstellung im Flughafen Tempelhof in Berlin
Mit ohrenbetäubendem Lärm krachen mehr als 30 Tonnen rötliche Stahlbögen erst wie Dominosteine gegeneinander und dann in chaotischer Anordnung auf den Boden. Es handelt sich um eine Demonstration von enormer Kraft, hinter der einer der wichtigsten bildenden Künstler der Gegenwart steht: Bernar Venet. "Es ist ein neuer Vorschlag, wie Skulptur gemacht werden kann, nicht mehr und nicht weniger", sagt Bernar Venet zu seiner Performance "Domino Effondrement".
Sie zeigt eine der unbekannteren Seiten des 80-jährigen französischen Künstlers, der sich selbst nie nur als Bildhauer verstanden hat. "Ich versuche ein Künstler zu sein, der Konzepte entwickelt, die es mir erlauben in den verschiedensten Disziplinen zu experimentieren", sagt Venet im Interview mit der DW.
Bernar Venet lässt tonnenschweres Material federleicht aussehen
Einen Eindruck der Vielfalt seines über 60 Jahren andauernden künstlerischen Schaffens zeigt die neue Ausstellung in der neuen Berliner Kunsthalle - in den großen Hangarhallen 2 und 3 des stillgelegten Flughafen Tempelhof . Mit mehr als 150 Werken ist sie die bisher umfangreichste Retrospektive Venets: mit Skulpturen, Malereien und Performances. Bernar Venet wurde 1941 im südfranzösischen Chateau-Arnoux geboren. Als junger Mann versucht er, seine kleinbürgerliche Herkunft hinter sich zu lassen. Er studiert an der Städtischen Schule für Gestaltende Kunst in Nizza, arbeitet als Bühnenbildner, bevor er 1961 für den Militärdienst eingezogen wurde.
Doch schon dort ertrotzt sich Venet ein kleines Atelier, in dem seine ersten Gemälde entstehen: mit Fassadenfarbe und Teer auf Kartonpappe. Auch die erste Performance, die als Fotodokumentation in der Ausstellung mit dem Titel "Bernar Venet, 1961-2021. 60 Years of Scultpure, Painting and Performance" zu sehen ist, stammt aus dieser Zeit. In ihr liegt der junge Künstler - wie niedergestreckt - zwischen überquellenden Mülltonnen.
Die Ausstellung dokumentiert auch erste Performances von Venet, wie diese von 1961
Nach dem Militärdienst lässt sich Venet in Nizza nieder, malt und nimmt Kontakte mit den Künstlern der Gruppe "Nouveau Réalisme" auf, der unter anderen Yves Klein, Arman (Fernandez) oder Jean Tinguely angehören. Die Avantgardebewegung wird durch die Ausstellung "The Art of Assemblage" 1961 in New York einem breiteren Publikum bekannt. Venet laden die Neuen Realisten zu der von ihnen veranstalteten Ausstellungsserie mit dem Titel "comparaisons" (deutsch: Vergleiche) ein.
1965 beginnt der Künstler Abflussrohre aus Bakelit oder farbig bemaltem Stahl auszustellen. Er gibt diesen Skulpturen den ironischen Titel "objets personels” (deutsch: persönliche Objekte) oder englisch "Tubes". "Ich wollte damals etwas absolut Neues. Und der Verzicht auf den Sockel war ein Riesenschritt, um einer Skulptur zu ihrer Identität zu verhelfen. Ohne Sockel trifft das Publikum direkt auf die Skulptur, sozusagen im menschlichen Maßstab", erläutert Venet 2019 im Art Magazin.
Er steht in intensivem Austausch mit den amerikanischen Künstlern seiner Generation, die in den 1960er-Jahren die konzeptuelle Avantgarde bilden, darunter Frank Stella, Richard Serra oder Donald Judd. Seit seiner ersten Reise im April 1966 ist Venet in der amerikanischen Kunstszene verwurzelt. Neben seinem Atelierhaus in Südfrankreich hat er auch ein eigenes Atelier in New York.
"Sie (die Künstlerinnen und Künstler, Anm. der Redaktion) warfen Fragen nach dem Wesen der Kunst, sie haben wirklich die Grenzen ausgelotet. Das hat mich stark beeinflusst. Aber mir ging es nicht mehr um formale Probleme. Mir ging es darum, die Sprache zu finden, um diesen formalen Problemen zu entkommen", sagt Venet im Interview mit der DW. Seine Werke aus den späten 1960er-Jahren befassen sich vor allem mit wissenschaftlichen Informationen, er gestaltet Darstellungen von mathematischen Gleichungen, Funktionen und Diagrammen.
Die "Tubes" vor den Reliefen, Werke von Venet aus den frühen 1960er Jahren
Sein Erfolg in New York spricht sich herum und Venet bekommt erste Ausstellungen in Deutschland. 1968 sind seine Arbeiten in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen, in einer Ausstellungsreihe unter anderem mit Carl André, Joseph Beuys und Christo. 1970 feiert ihn Krefeld mit einer Retrospektive im Museum Haus Lange. Da ist Venet gerade mal 29 Jahre alt. "Es war Dr. Paul Wember von dem Museum Haus Lange in Krefeld, der mich für meine erste Solo-Ausstellung überhaupt eingeladen hat", erinnert er sich. Bernar Venet hat dem großen Kurator Paul Wember deshalb die jetzige Retrospektive in Tempelhof gewidmet.
1971 hört Venet auf mit der Kunst, zumindest für die nächsten fünf Jahre. Er gründet eine Familie, zieht zurück nach Frankreich. Deutschland wird er aber eng verbunden bleiben.
Heute ist der Name Bernar Venet vor allem mit riesigen Stahlbögen verbunden. Sein erstes monumentales Werk entsteht 1979, ein 2,20 Meter hoher Bogen mit dem Titel "Arc of 235°". Vorstufen und Reliefs dieser Arbeit sind bereits auf der sechsten documenta im Jahr 1977 in Kassel zu sehen, ein Jahr später wird er zur Biennale in Venedig eingeladen. Bögen, Geraden, Diagonale, Winkel und unregelmäßige Endloslinien in Stahl geboren - das ist Venets Markenzeichen. Sie machen ihn weltweit berühmt.
Bernar Venet rahmte mit einer seiner monumentalen Stahlskulpturen 2011 das Denkmal von König Ludwig XIV., dem Sonnenkönig. Entscheidend für die Wirkung der Installation auf dem Place d’Armes in Versailles ist die Blickachse. In dieser Position des Betrachters umschließt der Stahl die Statue. Steht der Betrachter direkt hinter dem Standbild, wird der Mittelteil des Schlosses von Versailles umrahmt.
1966 ist Venet nach New York gezogen, um bekannter zu werden und sich weiterzuentwickeln. Seitdem hat er mehrfach an der Documenta in Kassel und der Kunst-Biennale Venedig teilgenommen. 2013 wurde er mit dem Julio González International Prize geehrt. Zu diesem Anlass wurde seine Skulptur "230.5° Arc x 15’" auf dem Vorplatz des Institut Valencià d’Art Modern installiert (Bild).
Die Skulptur "Triptyque, 220° arc x 5" steht vor dem Eingang des Kunstmuseums des schwäbischen "Schraubenkönigs" Reinhold Würth in Erstein im Elsass (hier kurz vor der Eröffnung des Museums 2008 aufgenommen). Arbeiten von Venet finden sich in mehr als 70 Museen - darunter das Museum of Modern Art (New York), das Solomon R. Guggenheim Museum (New York) und das Centre Georges-Pompidou (Paris).
Dieser stählerne Bogen wirkt wie das riesige Unterteil einer Wiege. "Arc de 115.5 Degrees" steht im maritimen Flair des Parks für Albert I. an der französischen Riviera. Dort, in Nizza, studierte Bernar Venet einst Gestaltende Kunst.
Kunst im öffentlichen Raum: Das "Kunstprojekt Krauthügel" im österreichischen Salzburg präsentierte 2010 neun Stahlskulpturen von Bernar Venet. Drei Monate lang waren sie auf dem Krauthügel unterhalb der Festung Hohensalzburg ausgestellt - und ernteten Protest: Das Terrain gehört zu einem Landschaftsschutzgebiet, weshalb viele Venets Skulpturen dort ablehnten.
"Désordre", also Chaos, heißen diese monumentalen Stahlskulpturen. Der Herr dieses Chaos', Bernar Venet, durchschreitet sie 2013 in Marseille. Die südfranzösische Stadt in der Provence war damals Europäische Kulturhauptstadt.
Nicht nur bei seinen Skulpturen bringt Venet seine Leidenschaft für Mathematik zum Ausdruck: Der französische Künstler hat bei diesem Bugatti-Kunstauto den Innenraum und die Lackierung mit mathematischen Formeln verziert. Diese Formeln dienen der Berechnung der Leistungskraft eines Motors.
Autorin/Autor: Klaus Krämer
Mitte der 1980er-Jahre tauchen sie an öffentlichen Plätzen auf, in den USA und Frankreich. 1987 schenkt Frankreich West-Berlin zum 750. Geburtstag den 20 Meter hohen Bogen "Arc of 124,5°". In den 1990er-Jahren ist seine Kunst weltweit gefragt, die Skulpturen sind in Hong Kong und San Francisco, in Paris und New York zu sehen. 2011 rahmt er mit einer Installation das Schloss Versailles, und den Sonnenkönig Louis XIV - ein kraftvolles Bild.
Auch wenn das wintergraue Berlin nicht mit dem warmen Licht der Provence, wo sich Venet meistens in seiner Stiftung aufhält, konkurrieren kann: Der Franzose freut sich über diese "sehr vollständige" Ausstellung. So viel Platz bekommen seine Skulpturen selten. Die neue Kunsthalle ist für Venets Kunst zweifelsohne ideal.
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